Floating Paradise

Ich möchte mit dem Titel der Ausstellung beginnen. Das Wort Paradies stammt aus dem Griechischen und bedeutet Tiergarten. Das Griechische übernahm es wiederum aus der altiranischen avestischen Sprache: eingezäunte Fläche. Das Paradiesische scheint also seiner Bedeutungsherkunft nach nicht unendlich zu sein, sondern sogar eher klein, durch eine Mauer begrenzt und beschützt, so auch dargestellt in Weltkarten des Mittelalters und fortgeführt im Hortus conclusus der Bildenden Kunst. Das Wort floating im Sinne von schwebend verstärkt den entrückten Zustand des Paradieses als Superlativ, nimmt aber eine räumliche und zeitliche Entgrenzung vor, löst sich von der christlichen Paradiesvorstellung und ermöglicht die Erschaffung von subjektiven Paradiesen im Hier und Jetzt: Ich denke an ein über das Wasser driftendes Eiland, einen satten Garten Eden, in dem es vor Pflanzen- und Tierarten wimmelt, an Bilder aus Kinderbüchern, an das Gefühl der himmlischen Leere im Kopf nach spätestens dem zweiten Aufguss in der Sauna und –an Floaten, das schwerelose Treiben im körperwarmen Solewasser verspricht Entspannung „wie im Mutterleib“. Wie das Floaten beispielhaft zeigt, vermarkten Wellness-Trends Wasser momentan verstärkt im Sinne des Wieder-Holens eines harmonischen Urzustandes und auch feministische Wissenschaften besinnen sich auf die wässrige Herkunft des Menschen, um eine All Verbundenheit mit der Natur zu postulieren. Floating in der Erweiterung mit away oder off bedeutet fortreiben bzw. abschwemmen. Global gesehen ist das Element des Flüssigen aus dem Gleichgewicht geraten, sein Fehlen zeigt sich in einer weltweiten Wasserkrise und Dürren, sein Überschuss in Hochwassern. Der selbst ernannte und wieder gefundene paradiesische Zustand gerät in dieser zweiten Wortbedeutung durch sintflutartige Wassermaßen in Gefahr. Die permanente Bedrohung einer Welt, die mit jedem neuen Tag wie ein Kaleidoskop der Kipp-Punkte neue Muster des Katastrophischen präsentiert, füttert und erklärt das eskapistische Verlangen, sich in einer Nische aus Ruhe und Schönheit einzurichten.

Mirsini Artakianou zeigt in der Ausstellung ein Gewebe aus geknoteten roten Fäden, das wiederum an vier Messingstäben befestigt ist und im Ausstellungsraum frei gehängt werden kann. Wie Donna Haraways string figures verbindet die Arbeit Elemente, Punkte und Assoziationen zu einem Fadenspiel mit offenen Enden: Eine in der Luft schwebende Landschaft, Ähnlichkeit zu Schrift, zu Zeichnung, das labyrinthische Motiv des endlosen Fadens – und hat nicht der Künstler Tomas Saraceno bereits vor einigen Jahren ein neues Zeitalter ausgerufen, das der Luft, das Aerozän? Durch die Bewegung der Besuchenden versetzt sich das Textil in Bewegung. Es scheint zu atmen und so als nicht-menschlicher Akteur den Ausstellungsraum zu beseelen.

Valentina Eppich nimmt für ihre Malereien Fotografien verschiedenen Ursprungs aus Ausgangsmaterial. Durch Beschneidung des Motivs und Dramatisierung der Lichtsituation eignet sie sich jene an – Heterogenität wird so zu Serialität. Die starke Übertreibung der Kontraste lässt an Chiaroscuro denken, ein in der Spätrenaissance und im Barock entwickeltes Gestaltungsmittel der Malerei, das sich durch starke Hell-Dunkel-Kontraste auszeichnet und der Steigerung der Tiefenwirkung dient. Eppichs Bilder gehen aber genau den entgegengesetzten Weg, hin zur Flachheit. Der besondere Malgrund aus wasserabweisenden Aluminiumplatten hat den Effekt, dass die verwendete Acrylfarbe sich nicht mit dem Untergrund verbindet, sondern wie eine fremde Schicht über den Malgrund zu floaten scheint wie ein Screen. Die kleinformatigen Bilder im Hochkantformat verstärken den Eindruck des Scrollens entlang eines ewigen Bilderstroms, von dem nur ab und zu Fragmente von Bildern im Gedächtnis haften bleiben.

Sophia Mainka bevölkert den Ausstellungsraum mit einem Tiergarten vergangener Jahrhunderte. Mainkas Tiere sind solche, die zu architektonischen Elementen stilisiert steinern an altehrwürdigen Hauseingängen hängen, um abzuschrecken, zu imponieren und zu verschönern. Aber anders als jene behaupten Mainkas hündische Türöffner und Wasserspeier Weichheit: Sie sind lückenlos von einer Art Häkel-Optik überzogen, wie passgenaue Schoner der erjagten Trophäen, die das Erjagte zum Schutz gleich wieder dem Blick entziehen und so zu einer Art Dekoration der Dekoration werden. Diese von Mainka hinzugefügte Bedeutungsschicht gleicht der einer doppelten Domestizierung des Tierischen. Doch Mainka häkelt nicht mit Wolle, sondern mit Silikon und geht damit nicht wieder einen Schritt zurück, aber in eine neue Richtung. 

Text von Lilian Robl

Installation views

Artist

Mirsini Artakianou

(b.1987 in Lesvos, Griechenland)

Meine ästhetische Vision liegt zwischen luftigem Minimalismus und kritischem Denken über Geschlechterfragen.

Die Natur und der menschliche Körper sind meine liebsten Inspirationsquellen, wobei mich die Vielseitigkeit der Motive und der Formen, die sie zu bieten haben, schon immer fasziniert hat. Am meisten interessiert mich die Annäherung an den weiblichen Aspekt der Erotik auf eine diskrete, aber tiefgründige Art und Weise, um geschlechtsspezifische Stereotypen zu dekonstruieren.

Ich verwende organische Formen als Bedeutungsgefäße, und ich bin sehr daran interessiert, Formen zu wählen, die anpassungsfähig und fließend sind. Der Fluss, den sie im Raum erzeugen, vermittelt oft das Gefühl eines Schwebezustandes, der sowohl intim als auch distanziert sein kann.

Eines meiner Lieblingsmaterialien, mit dem ich arbeite, ist Faden, wegen seiner gleichzeitigen Leichtigkeit und Effizienz. Ich nehme ihn als Strukturelement für meine großformatigen, rauchzarten Installationen wahr, die zwischen Textur und Abstraktion oszillieren. Das hinzugefügte Metall verstärkt die visuelle Gegenüberstellung von Textur, Dichte und Intensität, während die flüssigkeits.hnlichen

Formen an ihrem Platz bleiben. Für mich ist das Arbeiten mit Fäden nicht nur ein Mittel zum Schaffen, sondern auch eine Art spirituelle Meditation durch Muster und sich wiederholende Rhythmen. Trotz des introvertierten Vorgehens kann das Ergebnis eher extrovertiert und autonom sein.

Valentina Eppich

(b.1986 in Weilheim i.OB)

In meinen Malereien beschäftige ich mich mit Malerei an sich sowie – in Verlängerung – mit den Themen Künstlichkeit und Inszenierung, mit dem Unheimlichen.

Die verwendeten Motive finde ich in Fotografien verschiedensten Ursprungs – von Naturdarstellungen über Populärkultur und Kunstgeschichte. Die vorgefundenen Bilder überarbeite ich, indem ich zum einen nachträglich digital die Lichtsituation dramatisiere und zum anderen meist einen engen Detailausschnitt des Originals wähle. Dadurch kommt es zu einer (immer künstlichen) Inszenierung sowie einer (weiteren) Ästhetisierung einer durch die Fotografie bereits entrückten, wie auch immer gearteten ‚natürlichen Wirklichkeit‘. Die Betrachtenden werden dabei in eine Situation versetzt, in der die zugrundeliegende Bildquelle als vage bekannt wahrgenommen wird, ohne dass man exakt den Finger auf ihren Ursprung legen könnte. Das kleine Format sowie der Ausschnittcharakter lassen den Betrachtenden den größeren Kontext nur erahnen, wodurch dieser in seiner Abwesenheit eine starke Präsenz erhält, eine Inszenierung erfährt.

Meine Malerei selbst ist keine naturalistische, sondern eine, die sich selbst thematisiert. Als Malgrund verwende ich grundierte, Flüssigkeit abstoßende Aluminium-Platten. Entsprechend sickert die Acrylfarbe nicht ein, sondern bleibt auf der Oberfläche stehen. Duktus und Acrylfarbe sind in ihrer Materialität häufig sichtbar. Die Farbe wird dabei nicht in Schichten aufgetragen, sondern in noch feuchtem Zustand nebeneinander gesetzt und ineinander gewoben, wodurch illusionistischer Tiefe entgegengearbeitet wird und stattdessen eine malerische Farbfläche entsteht. Somit erfahren sowohl Material und Malweise als auch Malerei bzw. das Bild an sich eine Inszenierung und werden in ihrer Künstlichkeit betont.

Ein Aspekt, der sich in meine Malereien zum Teil einschleicht, ist der des Unheimlichen. Dieses findet sich in der eben beschriebenen, nur vagen Vertrautheit der Betrachtenden mit dem Motiv wieder: Der starke Ausschnittcharakter sowie die dramatisierte – und dadurch qualitativ verschlechterte – Lichtsituation (oft verschwinden Teile des Motivs im Schatten) lassen das ursprünglich vertraute Bild den Betrachtenden geradezu zerstückelt gegenüber-treten. Das Heimliche/Vertraute wird dabei unheimlich.

Sophia Mainka

(b.1990 in München)

Sophia Mainka arbeitet als freischaffende Künstlerin zwischen München und Paris. In ihren raumfüllenden Installationen setzt sie sich mit philosophischen Diskursen und aktuellen gesellschaftlichen Tendenzen sowie mit künstlerischer Forschung und Produktion auseinander, um eine bürgerliche Ästhetik zu analysieren. Dabei wirft die Künstlerin Fragen auf, die die Struktur und Realität des Lebens in einem vermeintlich posthumanen Zeitalter unweigerlich aufwerfen. Beziehungen zwischen Menschen und Objekten werden ebenso ins Spiel gebracht, wie die Bewegung des Körpers. In ihren farbenfrohen und präzise gestalteten Videoarbeiten taucht sie selbst immer wieder als Protagonistin verschiedener Hybridwesen auf. Eine posthumanistische Utopie ist hier bereits existent. Ihre Skulpturen wirken wie Imitationen der uns umgebenden Dinge, nur dass sie Ihr Funktion verweigern und anstatt mehr Komfort oder Sicherheit zu bieten, wenden sie sich auch mal gegen den Betrachtenden. Kann man in einem Fitnesssgerät souveräner aussehen als das Fitnessgerät selbst? Sie abstrahiert, vergrößert, verkleinert, manipuliert, sie spielt mit Interpretationen und Umdeutungen. Ihre Arbeiten widersetzten sich nicht zuletzt mit Humor und Witz einem aufgeklärten Selbstverständnis und zeigen, dass wir nie modern gewesen sind.