LITTLE ISSUES

“To listen to the rain is to hear the stories that rain tells, literary ‘re-marks’ that reflect the physical marks the rains made on flesh and page, raindrops sprinkled on skin.”
Lowell Duckert

Die neu eröffnete Galerie The Tiger Room zeigt in ihrer ersten Gruppenausstellung sechs junge, internationale Künstlerinnen. Die Ausstellung “Little Issues” legt einen Fokus auf aufstrebende, weibliche Positionen aus Deutschland, China, Japan, Korea und der Ukraine. Katharina Burger, Lu Cheng, Xenia Fumbarev, Frida Kato, Anna Lena Keller und Heeyoung Rosa Jo zeigen aktuelle Werke und treten in einen gemeinsamen Dialog. Die ausgewählten Arbeiten reihen sich wie Abbilder flüch-tiger Momente aneinander. Kleine Irritationen werden zu poetischen Beobachtungen des Alltags. Wundersame Gestalten und organische Formen versammeln sich im The Tiger Room, festgehalten in Malerei, Zeichnung, Druck, Skulptur und Installation.

Katharina Burger schafft phantasmatische Landschaften und kreiert rätselhafte Bildwelten. Die durch Kaltnadelradierung erstellten Drucke, kleinformatigen Malereien und Zeichnungen reflektie-ren innere Gefühlswelten und erzählen humorvolle Geschichten von alltäglichen Situationen und großen Abenteuern. Mit wenigen Pinselstrichen gelingt es auch Heeyoung Rosa Jo, verborgene Ge-schichten aufzuzeichnen. Wie Spuren und Rückstände erscheinen die schwarzen Linien und bunten Kleckse auf den ansonsten weiß gehaltenen Leinwänden. Die Künstlerin liefert subtile Hinweise auf flüchtige Eindrücke und zelebriert die Poesie des Alltäglichen. Frida Kato hinterlässt in ihren pasto-sen Malereien dagegen tiefe Spuren in den dick aufgetragenen Farbschichten. Dabei macht sie von bogenförmigen Strichen Gebrauch, die an die exzessiven Dekore des Barock erinnern. Zahlreiche Farbschichten kreieren reliefartige Oberflächen und hinterlassen skulpturale Leinwände.

Auf Xenia Fumbarevs Betonbild-Objekten spiegeln sich subtil Licht und Schatten wieder, epheme-re Momente des Alltags. Fotografische Spuren von Häuserfassaden wurden mittels Siebdruck auf die zuvor gegossenen Betontafeln übertragen. Die minimalistische LED-Installation der Künstlerin greift weitere Elemente des Außenraums auf und erinnert an langsam fallende Regentropfen, die nun den Innenraum der Galerie erleuchten. Unterhalb davon versammeln sich träge Objekte. Anna Lena Kellers am Boden verteilte Arbeiten schmiegen sich weich aneinander und erinnern an Nackt-schnecken, die sich zu Gruppen zusammengefunden haben. Im Gegensatz dazu erscheint die von der Decke hängende, metallene Skulptur der Künstlerin wie ein harter Schutzpanzer, wie eine Er-weiterung des menschlichen Körpers. Lu Chengs biomorphe Objekte aus Keramik erwecken eine Vielzahl an Assoziationen aus der Tier- und Pflanzenwelt. Angelehnt an organische Materialien und Eigenschaften imitiert und erweitert die Künstlerin die Formensprache der Natur mit ihren hybriden Skulpturen.

 

Text von Julia Anna Wittmann

Installation views

Artist & Works

In a humorous and ironic way, Katharina Burger creates enigmatic visual worlds that are formed from the artist’s world of ideas and literature. She works in painting and graphics as well as in sculptures.

„In meiner künstlerischen Arbeit setze ich mich mit verschiedenen Formen des Wachstums biomorpher Formen auseinander. Durch meine intensive Beschäftigung mit verschiedenen Materialien entstehen installative und skulpturale Objekte, welche im Prozess des Wachstums innehalten. Diese sind keine Repräsentation natürlicher Organismen, sondern pseudonatürliche Objekte, die durch einen langen handwerklichen Prozess entstehen, in dem ich aus meiner spielerischen Auseinandersetzung mit dem Material und dessen Eigenschaften eine eigene Beziehung zu dem Objekt und seiner Umwelt aufbaue.Ein Teil meiner Arbeiten entsteht durch das Knüpfen oder Häkeln organischer Formen, welche ich als Soft- Skulpturen beschreiben würde.“

Proximity (2022) ist eine Serie von glasierten Keramik Skulpturen. Den Objekten liegt eine rechteckige Grundform zugrunde. Aus dieser Fläche erheben sich organische Flächen und Formen, welche vielfältige Assoziationen zulassen. Eine besondere Rolle in diesen Arbeiten spielt für mich die Oberfläche, welche an die Außenfläche verschiedener poröser Steine angelehnt ist. Diese ist oftmals mit vielen kleinen Löchern übersäht, welche durch unterschiedliche Einwirkungen der Umgebung entstanden sind. Diese Beobachtung übertrage ich auf meine Keramik Skulpturen und nutze die Löcher als dynamisches, grafisches Raster, welches die organischen Keramikformen überzieht. Auf der kargen, weißen Oberfläche stellen die Löcher für mich Spuren da, welche auf eine frühere symbiotische Beziehung verschiedener Lebewesen hindeuten können.

Flowstone(2023) und Between circles(2023) aus der Höhlen-Serie.

Flowstone, auch als „Tropfstein“ bekannt, ist eine Ablagerung von kalkhaltigem Gestein in Höhlen, die entsteht, wenn unterirdisches Wasser entlang des Höhlenbodens und der Höhlenwände fließt.Diese keramischen Skulpturen bestehen aus vielen unregelmäßigen „Stacheln“, die eine organische Form mit einer strukturierten Felsstruktur erzeugen. Die Form der Stacheln wurde von Stängeln, Tierhaaren, Fühlern und verzweigten Wachstumsstrukturen inspiriert. Die übereinander gestapelten Stacheln befinden sich in einem ständigen Zustand von fließender Veränderung und symbolisieren sowohl Angriff als auch Verteidigung. Gleichzeitig erzeugen sie für den Betrachter eine weiche und sanfte visuelle Täuschung, die zwischen Stabilität und Zerbrechlichkeit, Wildheit und Sensibilität pendelt.

In Between Circles sind Stacheln zu unterschiedlich großen kreisförmigen Strukturen gestapelt, die an der Wand hängen. Die Idee für dieses Werk stammt aus den Höhlen von Bruniquel im Südwesten Frankreichs, wo Archäologen eine Fülle von von Neandertalern erbauten Stalagmiten-gebildeten kreisförmigen Strukturen entdeckten. Diese interessanten Spuren regen zu Gedanken über die Lebensweise und das Verhalten früher Menschen an und wie künstliche Elemente untrennbar mit der Natur verbunden sind oder ein Teil von ihr werden. Dies könnte einen Dialog über Raum und Zeit hinweg darstellen, da Pseudo-Naturobjekte im Laufe der langen Zeit schließlich ein Teil der Natur werden können.

„Meine Arbeit dreht sich oft darum, das Skulpturale und Bildnerische miteinander zu verbinden. Dabei untersuche ich Transferverfahren, bei denen Bilder in Materialien übertragen werden. Dieser Ansatz findet sich auch in den beiden Werken, die ich in der Galerie vorstellen Möchte. Bei den Betonbild-Objekten bleibt die Fotografie noch deutlich erkennbar, während sie in der Lichtinstallation eher als Anlass dient.“

Die Betonbild-Objekte entstehen durch die Verwendung von pigmentiertem Beton als tragendes Material. Zusätzlich erweitere ich die Oberfläche mittels Siebdruck um eine abbildhafte Ebene. Fotografien von Häuserfassaden, die verschiedene Bildelemente enthalten, werden auf die poröse Oberfläche der zuvor gegossenen Betontafeln übertragen. Diese Bilder zeigen beispielsweise auf die Fassade geworfene Schattenspiele oder Strukturen der Wände selbst. Es entsteht eine Verbindung zwischen zarten Motiven und grobem Material, zwischen flüchtigen Momenten und monolithischen Tafeln. Dabei ereignet sich ein Transfer von Räumlichkeit: Die Dreidimensionalität einer Fassadenoberfläche wird nicht nur über das Material gelöst, sondern entfaltet sich im Zusammenspiel zwischen Material und einer Form der Fotografie. Gerastertes Bild und poröses Material verzahnen sich ineinander.

Die LED-Installation basiert auch hier auf der Betrachtung von visuellen Phänomenen im Außenraum und beschreibt ein ephemeres Ereignis. Möglicherweise erkennt der Betrachter in der minimalistischen Lichtzeichnung den Moment eines Regenfalls, womit das gemeinte Bild identifiziert würde.

Auch in diese Arbeit ist die Fotografie insofern eingeschrieben, als das der „Regen“, in der Anmutung einer Langzeitbelichtung in Lichtstreifen sichtbar wird.

„Ich erforsche die Fluktuation der Grenze zwischen zweidimensionalen und dreidimensionalen Objekten, indem ich in meinen Werken die Perspektive der Verfolgung des Bildes als Gemälde und die Perspektive der Verfolgung der Form und der Unebenheiten als dreidimensionales Objekt vermische. Ich behandle Ölfarbe eher als eine Erweiterung eines Materials wie Ton und nicht als ein Zeichenmaterial, und ich arbeite mit einem starken Bewusstsein für ihren Aspekt als Skulptur. Ich zeichne Fragmente von Bildern und Motiven, die mir in den Sinn kommen, die geschichtet werden und auf der Leinwand in neuen Formen und Dicken erscheinen. Die bogenförmigen Striche sind von barocker Architektur und Möbeln inspiriert.“

„In meiner künstlerischen Arbeit untersuche ich unter anderem die Schutzmechanismen von menschlichen und nicht-menschlichen Lebewesen. Im prozesshaften Arbeiten interessiert mich hier die Gegensätzlichkeit des physischen Schutzes und des Schutzverhaltens. Tiere und Pflanzen entwickeln harte Panzer, dichte Häute und glitschige Sekrete zum Lebenserhalt aus sich selbst heraus. Der physische Schutz des Menschenkörpers muss dagegen adaptiv von Außen angesetzt werden. Es sind Negativformen oder angeschnallte Exo-Skelette die durch technologische Entwicklungen den Körper übermenschlich robust und effizient machen sollen.“

Zu der „untitiled (Rüstung)“: Bestimmte Tiere und Pflanzenarten haben im Laufe der Evolution Panzer, verdichtete Häute und schleimige Sekrete als Abgrenzung nach Außen und zum Schutz vor natürlichen Feinden und Umwelteinflüssen entwickelt. Die pro-aktive Abwehr ist integraler Teil ihres Körpers und ihrer DNA.
Eine Analogie dazu bilden Rüstungen, Körperteil-Schoner, Helme und Protektoren, die gegen Verletzungen schützen und teils von tierischen Problemlösungen inspiriert wurden. Unserem Anlegen bzw. Benutzen dieser Objekte geht allerdings, anders als bei nicht-menschlichen Lebewesen, immer eine aktive Entscheidung voraus.

Die aus Twill getarnten Skulpturen werden in verschiedenen Büro- oder Galerieräumen inszeniert. Durch die Beschäftigung mit Phänomenen der Gruppenbildung findet eine Untersuchung der Verhältnisse von Zugehörigkeit und Abhängigkeit zu Abgrenzung und Autonomität statt. Die Bürolandschaft wird, durch die Kopplung von Arbeit und Leben, als Umgebung bestimmter, zwischenmenschlicher Dynamik begriffen.

Heeyoung Rosa Jo‘s artistic work centers around the invisibilties and paradoxes of everyday life. She strives to capture the atmosphere of fleeting impressions and to forge connections between seemingly disparate moments. Her perimary goals is to unveil the subtle beauty of the unseen and to celebrate the poerty of the ordinary.